Vorkommen
Rund zwei Drittel (in verschiedenen Studien 55-78%) von FNS-Betroffenen berichten über chronische Schmerzen unterschiedlichster Lokalisationen, z.B. Migräne, Spannungskopfschmerz, Kieferschmerzen, Rückenschmerzen, Gelenkschmerzen, Komplexes regionales Schmerzsyndrom. Oft betreffen die Schmerzen dieselbe Lokalisation wie die neurologischen Symptome (z.B. Schmerzen an einer Gliedmaße mit funktionellen Bewegungsstörungen). Besonders häufig gehen fixierte Dystonien mit lokalen Schmerzen einher, 41% dieser Patient:innen erfüllen die CRPS-Kriterien. Aber die Schmerzen können auch andere Körperteile betreffen. So berichten Betroffene mit dissoziativen Anfällen ebenfalls gehäuft über Schmerzen, z.B. Bauchschmerzen.
Schmerzerleben und Risikofaktoren
Schmerzen sind ein anschauliches Beispiel dafür, wie unterschiedlich Menschen ihren Körper erleben. Manche Menschen sind schmerzempfindlicher als andere, je nach Situation schwankt die Schmerzempfindlichkeit auch beim Einzelnen. Bei akuten Verletzungen setzt Schmerz z.B. oft erst zeitversetzt ein, etwa weil die Aufmerksamkeit darauf fokussiert ist, von der Unfallstelle weg zu kommen oder anderen zu helfen. Das Schmerzempfinden ist z.B. gesteigert bei unzureichendem Nachtschlaf, gedrückter Stimmung, Einsamkeit, der persönlichen Einschätzung der Kontrollierbarkeit der Schmerzen oder früheren Schmerzerfahrungen. Zum Erleben chronischer Schmerzen tragen auch Faktoren wie die Dauer der Schmerzen, ihre Auswirkungen auf den Alltag und die Erwartung einer Genesung bei.
Körperliche und seelische Schmerzen
Je länger Schmerzen bestehen, desto weniger korrelieren sie mit einer peripheren Nozizeptorenreizung und strukturellen Schäden, und desto mehr mit Schmerzerfahrung und Schmerzerwartung. Überwiegt die Top-Down-Regulation bei Schmerzen, etwa durch Sensitivierungsvorgänge, spricht man von „noziplastischem Schmerz“. Im Volksmund wird die enge Verwandtschaft von „körperlichem“ und „seelischem“ Schmerz viel klarer ausgedrückt als in der Medizin, die teilweise ein recht mechanistisches Schmerzmodell vertritt: Ein schmerzlicher Verlust, Trennungsschmerz, eine schmerzhafte Enttäuschung etc. Daher ist die Therapie chronischer Schmerzen immer multimodal und berücksichtigt den gesamten Organismus in seinem individuellen Kontext. Im Zentrum steht neben der Schmerzreduktion auch ein funktionaler Umgang mit den Schmerzen, also die Schmerzbewältigung bis hin zum „Verlernen“ von Schmerzen.
Weitere Informationen
Deutsche Schmerzgesellschaft
https://www.schmerzgesellschaft.de/
Patienteninformationen der Deutschen Schmerzgesellschaft: https://www.schmerzgesellschaft.de/patienteninformationen
Relevante Fachartikel
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Ducroizet A, Zimianti I, Golder D, Hearne K, Edwards M, Nielsen G, Coebergh J. Functional neurological disorder: Clinical manifestations and comorbidities; an online survey. J Clin Neurosci. 2023;110:116-125. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0967586823000450?via%3Dihub